Die Gefahren von Familienblogs und Vlogs
- Tiger Rudel Autorin
- 24. Sept.
- 7 Min. Lesezeit

Das Thema des Family Vlogging ist äußerst vielschichtig und bleibt ein kontroverses Thema. In den letzten Jahren haben sich Familienblogs und -vlogs in den sozialen Medien zunehmend etabliert, und Eltern teilen oft mit großer Begeisterung Momente aus dem Leben ihrer Kinder.
Doch die Grenze zwischen persönlichem Erleben und öffentlicher Darstellung wird immer schwieriger zu ziehen. In diesem Artikel beleuchten wir die ethischen und psychologischen Fragestellungen, die sich mit dem Teilen von Familienmomenten in den sozialen Medien verbinden, und werfen einen kritischen Blick auf die Auswirkungen, die dies auf die kindliche Entwicklung und das Familienleben haben kann.
Inhaltsverzeichnis:
Die verschwimmenden Grenzen zwischen Elternschaft und Ausbeutung
Aufwachsen vor der Kamera: Auswirkungen auf die kindliche Entwicklung
Die Kommerzialisierung der Kindheit und ihre Folgen
Veränderung von Privatsphäre, Familie und Identität
Emotionale Bindung und das Gefühl der „Besitznahme“
Die Abhängigkeit von Social Media und der Verlust der Authentizität
Fazit: Was wir daraus mitnehmen können
Das Filmen von Momenten aus dem Leben von Kindern mag zunächst harmlos erscheinen, doch der ständige Blick durch die Linse der sozialen Medien kann tiefgreifende Auswirkungen auf die Entwicklung der Kinder und das Familiengefüge haben.
Die verschwimmenden Grenzen zwischen Elternschaft und Ausbeutung
Die Frage, ob die Dokumentation von Familienmomenten für die Öffentlichkeit in Ordnung ist, wird immer schwieriger zu beantworten. Auf der einen Seite steht die Freude daran, den Alltag zu teilen und vielleicht auch ein zusätzliches Einkommen zu erzielen. Auf der anderen Seite stehen die ethischen Bedenken, die mit dem Ausstellen von Kindern vor der Kamera verbunden sind.
In der Welt der Influencer und Family-Vlogger sind Kinder nicht selten die wahren Stars – selbst wenn sie noch in den Kinderschuhen stecken. Diese Kinder sind von Geburt an Teil der sozialen Medien ihrer Eltern und werden regelmäßig als „Content“ genutzt, um die Zuschauerzahlen zu steigern.
Doch dabei verschwimmen die Grenzen zwischen Elternschaft und Ausbeutung. Denn während die Eltern von den Klicks und der Reichweite profitieren, bleibt es fraglich, welche Auswirkungen diese ständige Präsenz vor der Kamera auf die Kinder selbst hat.
Viele Experten warnen davor, dass Kinder in diesen Situationen oft nicht die nötige Kontrolle über ihre eigene Darstellung und Privatsphäre haben. Sie wissen nicht, was es bedeutet, dass ihre Momente mit der Welt geteilt werden und sind zu jung, um den Wert ihrer Privatsphäre zu verstehen. Die Eltern hingegen nehmen diese Entscheidungen häufig in ihrem Namen, und die Konsequenzen für das Kind sind nicht immer abzusehen.
Aufwachsen vor der Kamera: Wie Social Media die kindliche Entwicklung beeinflusst
Kinder, die ihre ganze Kindheit vor der Kamera verbringen, wachsen in einer Welt auf, in der jeder Moment potenziell ein öffentliches Ereignis ist. Das kann tiefgreifende Auswirkungen auf ihre psychologische und emotionale Entwicklung haben. Psychologen wie Dr. Jean Twenge, die sich mit den Auswirkungen von sozialen Medien auf Kinder und Jugendliche beschäftigen, warnen davor, dass das konstante Filmen und Dokumentieren das Selbstbewusstsein von Kindern beeinträchtigen kann.
Ein zentrales Problem liegt in der ständigen Beobachtung. Kinder, die in den sozialen Medien ihrer Eltern präsent sind, entwickeln möglicherweise ein verzerrtes Bild davon, was Privatsphäre bedeutet. Sie erleben von klein auf, dass jeder Augenblick Teil einer öffentlichen Inszenierung ist. Das kann nicht nur zu einem Verlust der Identität führen, sondern auch zu Gefühlen der Unsicherheit und einem verminderten Selbstwertgefühl.
Diese Kinder lernen früh, sich selbst zu inszenieren und ständig die Bestätigung von außen zu suchen, anstatt ein gesundes Verhältnis zu ihrer eigenen Persönlichkeit zu entwickeln.
Besonders gefährlich ist das, wenn diese Kinder älter werden und die Möglichkeit haben, sich selbst in den sozialen Medien darzustellen. Sie haben nie gelernt, was es bedeutet, ihre eigene Privatsphäre zu schützen oder zu verstehen, welche Konsequenzen es haben kann, jedes Detail ihres Lebens mit der Welt zu teilen.
Von süß zu Clickbait: Die ethischen Probleme, Kinder für Geld auszuschlachten
Ein weiteres zentrales Problem im Bereich des Family Vlogging ist die Kommerzialisierung der Kindheit. Aus Kindergeschichten werden Clickbait-Titel, die Klicks und damit Geld generieren. Was anfangs noch als süßer Familienmoment wirkt, wird mit der Zeit zu einer Strategie, um eine größere Reichweite zu erzielen und Werbepartnerschaften einzugehen.
Oft zeigt sich diese Entwicklung in den veränderten Inhalten der Blogs und Vlogs: Statt einfach „süße“ Familienmomente zu teilen, wird immer öfter nach dem ultimativen Drama oder dem besonderen Moment gesucht, der die Zuschauerzahlen in die Höhe treibt.
Diese zunehmende Kommerzialisierung führt zu einem Problem, das viele Eltern oft nicht sehen: Sie setzen ihre Kinder einer ständigen Objektivierung aus. Ihr Leben wird nicht mehr als privat angesehen, sondern als etwas, das verkauft und zur Unterhaltung der Öffentlichkeit genutzt wird.
Die emotionale Ausbeutung durch das Teilen von Kinderbildern, um Geld zu verdienen, kann langfristige Auswirkungen auf die Eltern-Kind-Beziehung haben. Kinder, die für das Wachstum der sozialen Medien ihrer Eltern eingesetzt werden, erleben oft, dass sie mehr als „Produkt“ gesehen werden als als eigenständige Persönlichkeiten.
Wenn jeder Moment öffentlich ist: Die Veränderungen von Privatsphäre, Familie und Identität
Die stetige Präsenz in sozialen Medien verändert nicht nur die Sichtweise von Eltern und Kindern auf ihre eigene Familie, sondern auch das Verständnis von Privatsphäre und Identität. Was früher als ein sehr persönlicher Moment – wie der erste Schritt oder das erste Wort – galt, wird mittlerweile oft in einem öffentlichen Rahmen inszeniert. Ein Kind, das von Geburt an vor der Kamera steht, lernt früh, dass sein Leben ein öffentlicher Schauplatz ist, auf dem jede Entscheidung und jeder Moment dokumentiert wird.
Diese Veränderungen führen dazu, dass sich die Familienstruktur selbst verändert. Eltern werden zunehmend als „Content Creators“ wahrgenommen, deren Aufgabe es ist, ihre Kinder vor die Kamera zu bringen und ihre Erlebnisse mit der Welt zu teilen. Gleichzeitig wächst bei den Kindern ein Bewusstsein für die Öffentlichkeit, das ihre Identität und ihr Selbstverständnis beeinflusst. Der schmale Grat zwischen persönlichem Leben und öffentlicher Darstellung verschwimmt.
Die emotionale Bindung und das Gefühl der "Besitznahme"
Eine der subtilen, aber sehr realen Gefahren des Family Vlogging ist die Veränderung der emotionalen Bindung zwischen Eltern und Kind. Wenn Kinder von Geburt an als Content für die sozialen Medien ihrer Eltern genutzt werden, entsteht eine Dynamik, in der Eltern unbewusst beginnen, ihre Kinder als „Besitz“ zu sehen – als eine Quelle von Einkommen und sozialer Anerkennung.
Eltern, die von den Klicks und Werbeeinnahmen profitieren, könnten später das Gefühl entwickeln, dass das Kind ihnen „gehört“ und dass der finanzielle Erfolg ihres Lebens einzig und allein durch das Kind und dessen öffentliche Präsenz möglich war.
Dieses Gefühl der „Besitznahme“ kann zu einem gefährlichen psychologischen Zustand führen. Kinder, die in solchen Umständen aufwachsen, erleben oft eine verzerrte Sicht auf ihre eigenen Rechte und ihren eigenen Wert. Sie könnten glauben, dass ihr „Wert“ ausschließlich durch ihre Nützlichkeit als Content definiert wird. Das Resultat: Eine ungesunde Bindung zu den Eltern, die mehr auf finanziellen und materiellen Aspekten beruht als auf emotionaler Nähe und Vertrauen.
Gleichzeitig kann das Kind in dieser Situation in einem inneren Konflikt stehen, wenn es älter wird und beginnt, seine eigene Identität zu entwickeln. Es könnte den Eindruck bekommen, dass es seinen Erfolg oder seinen Wert nur den Eltern verdankt, obwohl es in Wirklichkeit durch eine Form der Ausbeutung einen wirtschaftlichen Nutzen für die Familie generiert hat. Diese Dynamik kann zu einem tiefen emotionalen Schaden führen, bei dem das Kind das Gefühl hat, es sei für den Erfolg und das Wohl seiner Eltern verantwortlich, statt eine selbstbestimmte, unabhängige Identität zu entwickeln.
Die Abhängigkeit von Social Media: Wie junge Eltern ihre Familien online stellen und dann den Anschluss verlieren
In einer Welt, in der Social Media zur zentralen Plattform für soziale Bestätigung und Aufmerksamkeit geworden ist, entscheiden sich immer mehr junge Menschen dazu, ihre Familiengründung und das Aufwachsen ihrer Kinder öffentlich zu teilen.
Schwangerschaftsvideos, erste Babyschritte und das „perfekte“ Familienfoto werden oft nicht nur zur persönlichen Freude, sondern auch zur Nahrung für die sozialen Medien, um Likes, Follower und Anerkennung zu gewinnen.
Doch was passiert, wenn die ursprüngliche Motivation, Familienmomente zu teilen, von der Suche nach Bestätigung und Belohnung durch die virtuelle Welt ersetzt wird?
Junge Eltern, die sich in dieser neuen Ära der „Social Media-Elternschaft“ wiederfinden, sind zunehmend mit der Herausforderung konfrontiert, dass das Leben ihrer Kinder nicht mehr nur privat ist. Anstatt authentische Momente mit ihren Kindern zu erleben und zu bewahren, ist ihr Fokus oft auf der Inszenierung einer perfekten, öffentlichen Elternschaft ausgerichtet. Dies führt zu einer mentalen und emotionalen Belastung für die Eltern, die sich unter dem Druck fühlen, ständig neue Inhalte zu produzieren und „gute“ Momente zu inszenieren.
Doch was passiert, wenn die Kinder älter werden und beginnen, ihre eigene Identität zu entwickeln? Wenn die ganze Familie von außen betrachtet und bewertet wird, kann dies zu einem Verlust des „Wirklichen“ führen.
Der Fokus auf Social Media könnte dazu führen, dass Eltern ihre Kinder nicht mehr als Individuen sehen, sondern als Instrumente für die Aufrechterhaltung einer gewünschten Online-Persona. Sie verlieren den Kontakt zu den realen Bedürfnissen und Wünschen ihrer Kinder, weil diese durch die Linse der digitalen Welt betrachtet werden.
Für die Kinder bedeutet das, dass ihre gesamte Kindheit von Außenwahrnehmungen geprägt ist. Sie wachsen in einer Welt auf, in der ihre Erlebnisse und Gefühle öffentlich geteilt werden – ohne ein echtes Verständnis darüber, was es bedeutet, „privat“ zu sein oder die Kontrolle über ihr eigenes Leben zu haben.
Was passiert, wenn diese Kinder alt genug sind, um die Folgen dieser öffentlichen Darstellung zu begreifen? Werden sie die Fähigkeit entwickeln, ihre eigene Identität zu bewahren, oder werden sie in einem Netz aus Likes und Kommentaren gefangen sein, das sie als Kinder schon früh erlebt haben?
In vielen Fällen könnte der Druck, der von den Eltern auf die Kinder ausgeübt wird, dazu führen, dass diese nicht wissen, wie sie sich selbst abgrenzen und ihre eigene Persönlichkeit entfalten können. Sie werden in einem System sozialisiert, in dem ihre Existenz nicht mehr für sich selbst steht, sondern als Teil einer fortwährenden Erzählung in den sozialen Medien – und das könnte langfristig die Entwicklung gesunder Grenzen und das Selbstwertgefühl beeinträchtigen.
Was wir daraus mitnehmen können
Eltern, die ihre Kinder in den sozialen Medien zeigen, sollten sich bewusst sein, welche Auswirkungen das auf die kindliche Entwicklung und die Familie insgesamt haben kann. Die ständige öffentliche Präsenz kann zu einer Verzerrung der Identität führen, und Kinder können ohne ein gesundes Gefühl von Privatsphäre aufwachsen. Auch wenn das Teilen von Familienmomenten ansprechend erscheint, sollten die langfristigen Konsequenzen bedacht werden.
Für Eltern bedeutet dies, dass sie überlegen sollten, welche Werte sie ihren Kindern vermitteln wollen. Statt ihre Kinder als Content zu sehen, sollten sie ihnen die Privatsphäre und den Raum für eine gesunde Entwicklung bieten. Es ist entscheidend, das Gleichgewicht zwischen dem Teilen von Momenten und der Wahrung der kindlichen Privatsphäre zu finden, um die Identität und das Wohlbefinden der Kinder zu schützen.
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